Also ich muss sagen mein Plan Tign das Reiten schmackhaft zu machen scheint bisher aufzugehen 😀
Seit März gibt es für sie ja ein volles Fitness-Programm (siehe auch Beitrag No-Go Wampirella 2022) mit viel Abwechslung was ihr volle taugt: ob Handpferdereiten mit ihrer Freundin Snót, Laufbandtraining, Spazierengehen oder Arbeit an der Hand, sie ist mit Feuer und Eifer dabei. Von daher ist sie muskulär bereit mich auf ihren Rücken zu tragen.
Unsere größte Baustelle ist aber eher mentaler Natur. Bei mir sind es Kontrollverlustängste und fehlendes Vertrauen in ihre Bereitschaft zuzuhören die mir ein mulmiges Gefühl im Magen bereiten. Bei ihr sind es Ungeduld gepaart mit Übermotivation die gerade das Aufsteigen und Halten problematisch machen. Ich habe mich in der Vergangenheit nie verletzt beim Reiten mit ihr, aber wir hatten schon steigen und buckeln wenn unsere Kommunikation nicht stimmte. Ihre Hyperflexion mit viel Go haben mit einem Fellsattel das Anreiten nicht gerade erleichtert 😉 . Schlussendlich habe ich mich nicht mehr getraut mich im Sattel zu bewegen und sie hat nach 10-15 Minuten die Bremse (oder das Gaspedal) reingehauen um mich zurück auf den Boden der Tatsachen zu holen.
Nicht, dass ich nicht auch viel Spaß mit ihr am Boden habe, wir sind jetzt 11 Jahre zusammen und das ohne Reiten, ich würde trotzdem jetzt nochmal probieren ob wir einen gemeinsamen Nenner auch im Sattel erreichen können. Es würde die Möglichkeiten der Beschäftigung deutlich erweitern (und ich reite einfach gerne, auch wenn es eine eher egoistische Handlung ist, gebe ich offen zu).
Nach reiflicher Überlegung wie ich es für uns beide am sichersten und entspanntesten den Wiedereinstieg gestalten könnte entschied ich mich dafür das Longieren einzuführen. Tign hat mehr „Go“ als „Woah“, das bedeutet dass bei Problemen ihre Energie in Bewegung umgesetzt werden sollte, ansonsten entlädt sie sich eben auf der Stelle ( = Steigen oder Buckeln). Die Reiterhilfen hat sie aber nicht wirklich gelernt, sodass ich im Sattel sie nicht einfach vorwärts treiben kann. Also brauchte ich jemanden am Boden, auf den Tign sich fixiert und der sie vorwärts schicken kann, während ich im Sattel erstmal einfach mal zum Sitzen komme.
Da ich jetzt am Oberbichlhof die entsprechende Infrastruktur vor Ort habe, gab ich sie in Sophia Labek’s erfahrene Hände um Tign das Longieren durch Fremdpersonen beizubringen. Bedingung: keinerlei „Hilfszügel“ 😉 . Nach nur 3 Einheiten war Sophia der Meinung dass Tign bereit für einen Reiter wäre, da sie durch die Handarbeit schon sehr gut im Gleichgewicht und an Stimm- und Körperhilfen stand.
Damit hieß es für mich, rauf aufs Pferd!
Wir begannen im Roundpen, zuerst nochmal longiert (da anderer Longenführer / Reitlehrer = Christina), dann gegenhalten am Sattel und hoch mit mir! Tign war ein Traum, eher etwas triebig (was ich gerade am Anfang doch lieber hatte) und ganz brav. Ich konnte endlich mal auf mich achten im Sattel, da die Kontrolle nicht in meiner Hand lag. Ich hatte mir extra einen Halteriemen am Sattel angebracht, denn wenn man keine Zügel in der Hand hat und eh eher ängstlich ist, kann das ein riesen Stück Sicherheit geben. In der ersten Einheit (30 Minuten) gab es nur Schritt und Trab und ich habe mich im Sattel mal bewegen gelernt, also Arme und Beine kreisen, Leichttraben und dergleichen.
Tign hat ja einen interessanten Trigger, der da auch schon zum Vorschein kam: wenn sie (positiv) aufgeregt ist beginnt sie zu brubbeln. An sich total lieb, leider ist das jedoch ein klares Zeichen dass sie geistlich überfordert ist. Meist erwartet sie dann auch ein Leckerli und wenn dann nicht sofort eine klare Anweisung oder Leckerli folgt, geht sie hoch (= steigen, buckeln).
Auch jetzt beim Reiten zeigte sie diesen Trigger sobald ich mich da oben auf ihr bewegte (womit ich gerechnet hatte), aber durch den Longenführer wurde sie einfach immer weiter vorwärts getrieben, was ihr eine Möglichkeit gab die Energie wieder abzubauen und sich auf was anderes zu konzentrieren. Demensprechend war es ein Kreislauf von „Jasmin bewegt sich oben – Tign will stehen bleiben, brubbelt und erwartet Leckerli – Longenführer treibt vorwärts – Tign konzentriert sich auf die Bewegung – entspannt sich und schnaubt ab – Jasmin bewegt sich….“
Ganz bewusst gab es während des Longierens und Reiten keine Leckerli. An sich sind wir mit +R am Weg (Clicker), aber derzeit müssen wir erst ihre Motivation / Energielevel absenken damit es für mich sicher wird. Da habe ich sie lieber weniger motiviert als zu viel, zumindest bis die Reiterhilfen etabliert sind :-p Die Leckerlis werden dann später wieder eingebaut, wenn sie nicht sofort brubbelt wenn ich mal ein Wort des Lobes ausspreche oder sie am Hals streichle. Ein ähnliches Verhalten hatten wir damals auch am Boden wo ich mit dem Clickern begonnen habe: sie hat mich bedrängt, nach den Leckerlis und meiner Hand geschnappt, sich hinein gesteigert und dann Wutanfälle bekommen wenn es kein Leckerli dafür gab.
Bisher ist sie noch ganz happy vor und nach dem Reiten und währenddessen eher konzentriert, deswegen traue ich mich auch ohne Leckerli weiter zu machen. Gerade das Traben bzw. galoppieren macht ihr Spaß, was eine Abwechslung zur Handarbeit darstellt, wo wir zu 90% im Schritt unterwegs sind.
Die 2. Longenstunde startete dann nicht ideal, weil ich sie von der Koppel holen musste und sie entsprechend unglücklich war, von der Herde getrennt zu sein (nur ein Problem bei der Koppel, im Paddock interessiert sie es Nüsse). Aber mit genug vorwärts (viel Trab) hat Christina sie dazu bekommen sich auf ihre Füße zu konzentrieren und das Wiehern war nach 10 Minuten Geschichte. Von dieser Reitstunde gibt es auch Beweisfotos von Ramona 😀
Die 3. Stunde brachte dann die alte Problematik deutlich zurück: mit Flora als Longenführer ging es diesmal wegen Regen in die Halle. Im Nachhinein weiß ich nun dass es für die Maus derzeit noch wichtig ist zuerst ein paar Runden ohne Reiter ablongiert zu werden damit sie sich mental auf die kommende Arbeit einstellen will. Plus ist die (leere) Halle auch was ganz anderes als das Roundpen. Naja, also wir haben uns nichts weiter dabei gedacht die Maus gleich an die Longe zu nehmen und ich gleich hinterher. Und siehe da: Tign brubbelt, ich ignoriere es beim Aufsteigen, Tign macht Anstalten zum Steigen (Kopf tief, Vorderhand hoch). Mit sofortigem vorwärts schicken ging es wieder, aber die Reitstunde hatte dann etwas den Wurm drinnen. Ihr fehlte die äußere Begrenzung des Roundpens und ich wurde ermuntert sie selber viel Vorwärts zu schicken. Das fand sie natürlich auch eher schiach was zu Unmutsäußerungen führte. Jetzt kein Rodeo oder so, aber doch so dass ich mich wieder deutlich unwohler fühlte da oben. Auch sollte ich für meine Verhältnisse zuviel mit dem Zügel einwirken. Naja, nicht unsere Glanzstunde, aber wir sind alle heil angekommen und Tign hat es mir auch nicht übel genommen.
Das nächste Mal war ich dann ohne offiziellen Reitlehrer, sondern mit Ramona als Longenführer im Roundpen. Auch diesmal leider brubbeln und Unarten beim Aufsteigen, danach jedoch super brav und fein an meinen (wenigen) Reiterhilfen. Wir haben auch nicht lange gemacht, aber es war mir wichtiger einen schönen Abschluss zu finden als unbedingt genau 30 Minuten im Sattel zu sitzen :-p
Die 4. Reitstunde war dann bei Sophia wieder im Roundpen, was tausendmal besser lief. Zwar hatten wir wieder die Problematik beim Aufsteigen (schon abgemildert), aber das Reiten selber lief sehr gut. Wir haben Zirkel verkleinern / vergrößern mit Bügeltritt geübt und ich bin das erste Mal galoppiert! Und was soll ich sagen, ich LIEBE ihren Galopp! Toll zu sitzen, schönes Gefühl, einfach traumhaft. Mal schauen, vielleicht machen wir erstmal (wenn ich keine offiziellen Reitstunden mehr habe) nur Schritt und Galopp. Ihr Trab ist zu schwunghaft um den entspannt auszusitzen und im Leichttrab taugt es mir nicht dass ich zu unruhig im Sattel bin um klare Hilfen zu geben. Beim Absitzen hat sie dann gequiekt und mit der Hinterhand einen Mini-Hüpfer gemacht (fühlte sich wie ein Ganzkörper-Hickser an), sodass wir das Auf- und Absteigen gleich ein paar mal auf beiden Seiten probiert haben. Immerhin gab es beim Aufsteigen keine Probleme diesmal, der Quicker beim Absteigen blieb aber.
Als Abwechslung schlug Sophia dann einen ersten geführten Ausritt vor. Also ein paar Tage später Snót und Tign gesattelt – und dann erstmal das heftige Gewitter mit Sturm und Hagel abgewartet. In der Halle ritt Sophia erstmal ein paar Runden mit Tign an der Hand bevor ich aufstieg. Dann nochmal ein kurzes Abchecken in der Halle dass keine Kernschmelze bei Tign drohte und dann ging es raus und hoch zur kleinen Kapelle. Meine Gerte hat Sophia dann für Snot gebraucht, aber das war ok weil Tign auch so gut lief. Immerhin war das das erste Mal mit Gebiss für sie. Nicht, dass ich die Zügel viel gebraucht habe, sie reagiert ja sehr fein auf Gewichtshilfen 😉 . Überhaupt war Tign deutlich gechillter als Snót, die einmal sogar einen Satz in die Wiese machte, als sie plötzlich der Pferde auf der Koppel gewahr wurde ^^;;. Zurück haben wir dann geführt, weil der Weg doch etwas rutschig vom Regen war. Ein voller Erfolg 😀 .
Die 5. Reitstunde war dann mit Bianca Stelzer in der Halle. Bianca hat sehr viel Erfahrung mit Jungpferde-Einreiten und sie kann sich super auf Pferde-Reiter-Paare einstellen, sodass wir eine extrem gute (halbe) Stunde hatten! Zuerst wieder kurz longiert ohne Reiter damit Bianca und Tign sich kennen lernen, dann ich rauf (kein Problem), an der Longe alle Gangarten, dann habe ich die Hilfen übernommen und bin auf die ganze Bahn während Bianca mit Longe mitlief (für den Notfall). Tign war super aufmerksam und fein und wir haben Schritt-Halt und Schritt-Trab-Übergänge gemacht. Ich hatte zwar auch eine Gerte dabei, aber habe sie nur minimal eingesetzt wenn sie gar nicht auf Schenkel und Sitz reagiert hat. Die letzte Runde war sogar ohne Longe, also ganz frei! So cool!
Bianca meinte dass das Quieken daher kommen könnte, dass Tign eine Stute ist und sie der Bewegungsablauf an das Aufsteigen eines Hengstes beim Deckungsakt erinnert. Daher kennt sie sowas. Könnte sein, muss ich mal weiter beobachten und rumprobieren (mal direkt nach Halten abspringen ohne Wartezeit dazwischen, mal Leckerli geben um sie mit Kauen abzulenken, mal Loben und mit „Achtung“ vorbereiten… ich hab Ideen).
Bei der erstmal letzten Reitstunde (6.) hatte ich nochmal Sophia und wir waren wieder in der Halle. Nach dem kurzen Longieren ohne Reiter war das Aufsteigen kein Problem, alle Gangarten abgerufen und dann lief Sophia auch schon mit uns mit an der Bande. Und etwas später: ab von der Longe und ich ritt allein! Und zwar schon richtig viel: Schritt-Halt und Schritt-Trab-Übergänge, über die Diagonale wechseln, Zirkel, Galopp ganze Bahn… Volle zach! Wie ein richtiges Reitpferd! Ok, beim Absteigen wieder das Quieken, aber mei, man kann nicht alles haben.
Auf diesen Erfolg aufbauend ging ich ein paar Tage später mit Tign ins Roundpen. Zuerst etwas longiert, dann aufsteigen (ohne Probleme), losreiten und auch ohne Sicherheitsperson am Boden eine respektable Leistung abgeliefert: Schritt, Tölt, Trab und Galopp beide Hände, Zirkel verkleinern und vergrößern, durch den Zirkel wechseln und Beginn von Schulterherein.
Gestern hatten wir dann unseren 2. geführten Ausritt, diesmal mit Christina auf Snót und runter Richtung Schmiedtal. Leider gab es Anfangs etwas Probleme: ich hatte gehofft dass ich direkt auf der Straße aufsteigen könnte, weil die ganze Prozedur & Orte bis dahin kannte sie schon vom Handpferdereiten. Aber leider war das Aufsteigen dann doch zu aufregend für sie: brubbeln und bei Nichtbeachtung ein Steigen dass einem Menorquiner alle Ehre gemacht hätte! Energisches Nein und Rückwärtsrichten und dann ein zweiter Versuch brauchte das gleiche Ergebnis (ok, diesmal brach ich ab bevor sie richtig hoch ging). Da es beim ersten Ausritt mit Sophia gut ging mit Aufsitzen in der Halle haben wir dann das probiert: Erst eine Runde geführt von Christina auf Snót und dann aufsteigen. Leichtes brubbeln aber nichts im Vergleich zuvor und mit dann recht zügigem Vorwärts war die Gefahr der Kernschmelze auch gebannt. Der Rest des Ausritts war dann super, Tign entspannt und aufmerksam. Ich ritt diesmal vierzüglig, auf Gebiss und Sidepull, was glaube ich erstmal die passende Variante für uns draußen ist. Damit habe ich nicht zu viel Angst die Zügel auch mal zu benutzen (will ihr nicht im Maul rumziehen) und habe trotzdem für den Notfall ein Gebiss in der Hand. Der ganze Ausritt war bewusst im Schritt, um ihre Hinterhandmuskulatur zu stärken (und den Geist ruhig zu halten 😉 ). Und erstaunlicherweise: beim Absteigen gab es kein Quieken! Ob das jetzt daran lag dass sie zu kaputt war (so verschwitzt war sie jetzt nicht, aber wer weiß) oder an was anderem weiß ich nicht ^^;
Und das ist bis heute die ganze Geschichte des Reiterlebnis Tign 2022. Für 6 Reitstunden und 2 Ausritte bin ich mit den Ergebnissen extrem zufrieden. Tign ist super und die wenigen Probleme die wir noch haben bekommen wir zusammen bestimmt auch noch in den Griff 😀
P.S.: Ich kann übrigens den Rückenprotektor Felix Bühler / KOMPERDELL Anatomic PRO II sehr empfehlen!!! Man kann sich noch super damit bewegen und hat trotzdem etwas Schutz.